Beethovens Sturmsonate
Das klangliche Experiment der Rezitative

Beethovens gedankliche Tiefe offenbart sich im Hören. Er hat das bequeme Wohlgefallen daran das Ohr mit leicht fasslichen Gedanken zu erfreuen oft weniger gesucht als die Bestürzung, die dem Ohr widerfährt, wenn ihm etwas gänzlich Fremdes gegenübertritt. Im Spätwerk können dies Momente ohrenfälliger Sinnentleerung (hier wird oft ein besonderer Moment vorbereitet) ebenso sein wie das unvermittelt schroffe Wechseln des Gemütszustandes. Einen solchen Riss hat Beethoven bereits auf besonders schöne Weise in seiner Klaviersonate op. 31/2 komponiert. Im schnellen ersten Satz treten zwei Rezitative aus dem Kontext heraus. Verträumt langsam ohne jede ­Lautstärke- oder Artikulationsänderung vorbeiziehend. Beethoven schreibt, dass das Pedal auch über wechselnde Harmonien gedrückt bleiben soll, so dass die Szenerie wie aus der Ferne verschwimmend zu uns herüberweht. Bis heute wird dieser Text meistens falsch aufgeführt, durch Pedalwechsel und durch ausdrucksvolles Spiel wird die Musik viel zu real, viel zu gestaltet – und hat die Poesie, die Beethoven den daran nicht gewöhnten Ohren zumutet, verloren. Diese Poesie zeigt das Utopische, auch experimentelle Wesen seiner Musik, die in wichtigen Elementen keineswegs allgemein verständlich ist. Vollständig wird das Besondere der Stelle aus der Sonate dann mit dem Wiedereintritt des Allegro. Ohne Ankündigung plötzlich ganz trocken vollzieht sich der Schritt von der irrealen zurück zur realen Welt.

Einer der wenigen Pianisten, die die Rezitative in der Durchführung mit durchgehaltenem Pedal aufführten, ist der österreichische Pianist und Komponist Artur Schnabel (1882-1951), dessen Nachlass im Archiv der Akademie der Künste liegt. Die von ihm herausgegebene Tonmeister-Ausgabe aus den 20er Jahren enthält explizite Anmerkungen, die auf diese Eigentümlichkeit des Werkes hinweisen und eine entsprechende Interpretation fordern, die in der von ihm eingespielten maßstabsetzenden Aufnahme aus den 30er Jahren zu hören ist.

Ludwig van Beethoven 17. Klaviersonate op. 31/2 („Der Sturm“),
Takte 134 bis 182, aus: Ludwig van Beethoven: 32 Klaviersonaten, herausgegeben von Artur Schnabel, Ullstein (Tonmeister-Ausgabe), 1924-1927, aus dem Nachlass von Artur Schnabel, Archiv der Akademie der Künste.